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Der Mauerfall mit der anschließenden Wiedervereinigung nähert sich seinem 30-jährigen Jubiläum. Man kann sagen, in diese Zeit passt bereits eine neue Generation. Wer 1989 18 Jahre alt war, ist heute 48 und hat möglicherweise schon die erste Midlife-Crisis hinter sich. Viel ist in diesen drei Jahrzehnten passiert und das ständige Thema, wie sich Ost und West unterscheiden, begleitet uns noch immer. Man wird dabei den Verdacht nicht los, dass hüben wie drüben die Vorurteile sorgfältig gepflegt werden, damit es bloß nicht so scheint, als wäre der friedliche Untergang der DDR historisch betrachtet eine einmalige und geradezu heroische Leistung eines Volkes gewesen.

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Geblieben ist aus dieser Wendezeit der Solidaritätszuschlag. Der Aufbau Ost hatte die gesamte Volkswirtschaft vor enorme Herausforderungen gestellt und selten wurden so viele öffentliche Mittel in Infrastruktur und Wirtschaft investiert wie in den 90er Jahren. Es ging darum, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den neuen Bundesländern herzustellen und damit Arbeitsplätze zu schaffen und nicht darum, ein strukturschwaches Gebiet auf Dauer zu subventionieren.

Bei allen Differenzen kann das Unterfangen aus heutiger Sicht als gelungen bezeichnet werden. Die massenhaften Mittel werden aber schon lange nicht mehr in die Wirtschaft gepumpt, und wer erinnert sich noch an die Fördergebiets-Abschreibung? Ja, letztmalig konnten Investitionen in 1999, also vor 20 Jahren, gefördert werden und seit 2016 existiert das Gesetz nicht mehr.

Trotzdem ist der Solidaritätszuschlag immer noch da. Seit vielen Jahren versucht die Politik uns mit finanzpolitischen Tricks weiszumachen, dass es doch noch irgendwie um den Aufbau Ost geht. Tatsächlich aber ist das Aufkommen am Solidaritätszuschlag so hoch wie noch nie und beträgt ungefähr das Doppelte von dem, was es Ende der 90er Jahre war, als man die Mittel dringend benötigte. Warum gibt es ihn noch?

Der Staat verzichtet ungerne auf Einnahmen, die einfach nur so sprudeln. Das sieht man an vielen Verbrauchsteuern, die trotz geringem Aufkommen immer noch nicht abgeschafft sind. Beim Solidaritätszuschlag handelt es sich um eine vergleichsweise große Nummer und die Politik weiß geschickt, das urdeutsche Bedürfnis nach Sparen und ausgeglichenen Haushalten (Schwarze Null) für sich auszunutzen. Also soll die Einnahmequelle möglichst lange erhalten bleiben.

Immerhin haben wir ein funktionsfähiges Rechtssystem, und das hat schon mehrfach die Stimme erhoben, dass der Solidaritätszuschlag eine zweckgebundene Ergänzungsabgabe ist, die zwar normal in die Haushaltsmittel eingeht, aber eben nicht ohne Zweck einfach weiter erhoben werden darf. Diesem verfassungsrechtlichen Gebot kann sich auch die Politik nicht vollends widersetzen und so durften wir uns am 21.08.2019 freuen, dass das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags beschlossen hat. Richtig gelesen – nicht zur Abschaffung, sondern zur Rückführung des Solidaritätszuschlags.

Schon die Pressearbeit dieses Rückführungsgesetzes darf als nebulös bezeichnet werden. Zwar handelt es sich um einen Regierungsbeschluss, aber betont wurde, dass dieses Gesetz vom Finanzminister Olaf Scholz erarbeitet wurde. Das passt für beide Seiten der GroKo-Familienstämme: die CDU darf sich etwas Distanz erlauben, weil es eben keine Abschaffung ist, und die SPD darf propagieren, dass die Reichen nicht entlastet werden.

Schaut man einmal genauer hin, packt einen das Grauen. Das Gesetz gilt erst ab 2021. Fröhlich wird kundgetan, dass für 90 % der Arbeitnehmer der Soli vollständig wegfällt und immerhin wegen der Gleitphase 96,5 % bessergestellt werden. Die Spitzenverdiener, das sind die, deren Bruttoarbeitslohn als Alleinstehende Euro 73.874 überschreiten und zusammenveranlagte Familien mit zwei Kindern, deren Gesamteinkommen Euro 151.990 übersteigen, bleiben mit dem Soli belastet.

Gutverdienende gehören nunmehr zu den Spitzenverdienern. Damit entlarvt sich das Gesetz als echte Mogelpackung: es geht gar nicht darum, den Soli abzuschaffen, wozu die Politik eigentlich gezwungen ist, sondern darum, eine Steuererhöhung für Besserverdienende neu einzuführen. Ein eleganter Trick: während eine Erhöhung der Spitzensteuersätze vielleicht etwas problematisch in der Öffentlichkeit ankommt, lässt sich die Beibehaltung zusätzlicher Belastungen leichter verkaufen. Der Soli zugunsten des Aufbaus Ost wird zum Soli der Besserverdienenden zugunsten der mittleren und kleinen Einkommen.

Der Gesetzentwurf kaschiert das noch nicht einmal: bei der Rückführung „sind sozialstaatliche Erwägungen maßgebend, da höhere Einkommen einer stärkeren Besteuerung unterliegen sollen als niedrigere Einkommen“ (wörtliches Zitat). Zur Krönung wird fabuliert, dass mittlere und niedrige Einkommen gezwungenermaßen eine höhere Konsumquote als Spitzenverdienende haben, die „zusätzliches Nettoeinkommen ganz überwiegend in ihre Ersparnisse“ investieren. Olaf Scholz lässt sich feiern als Erfinder ungewöhnlicher konjunktureller Fördermaßnahmen.

Wir glauben nicht, dass diese offensichtliche Steuererhöhung verfassungsrechtlich zulässig ist. Man kann darauf wetten, dass dieses Gesetzesvorhaben scheitern wird. Kümmert das die Politik? Im Zeichen des Populismus beeindruckt das die Politiker nicht, weil der Blattschuss gegen die Beibehaltung des Soli vor dem nächsten Wahlgang vermutlich nicht abgefeuert werden kann.

Besonders perfide ist, dass in der Pressearbeit von Politik und Ministerium total verschwiegen wird, dass die Zinseinkünfte des Sparers nach wie vor mit Soli belastet bleiben. Der Protest wird vermutlich als vernachlässigbar eingestuft, da es derzeit sowieso keine Zinsen gibt. Auch passive Kapitaleinkünfte in Form von Dividenden bleiben Soli-belastet. Diese Diskussion hält man aus, weil Dividendenerträge aus Aktien ja sowieso nur die Reichen erhalten. Gab es da nicht mal so etwas wie den politischen Willen zum Aufbau von Vermögen und Alterssicherung mittels Aktien für jedermann?

Eine weitere Nicht-Kommunikation: die mittelständische Wirtschaft und auch die Konzerne bleiben vollständig mit dem Soli belastet, jedenfalls in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft, was den weitaus überwiegenden Teil der Unternehmen ausmacht. Während um uns herum innerhalb der EU und auch führende Volkswirtschaften außerhalb der EU aus guten Gründen ihre Unternehmenssteuerbelastungen senken, schaffen wir in Deutschland das nicht einmal mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags.

Der Leitgedanke des Staates ist unverbesserlich: höhere Steuern bedeuten höhere Einnahmen, jedenfalls bis zur nächsten Wahl. Die langfristige Perspektive einer Wettbewerbsfähigkeit interessiert nicht, obwohl innerhalb Deutschlands die richtige Steuerpolitik statistisch belegbar ist. Das Ruhrgebiet leistet sich die höchsten Gewerbesteuerhebesätze, während sie in Bayern und Baden-Württemberg gegenüber Gesamt-NRW im Schnitt um ein Viertel niedriger liegen. NRW wurde abgehangen, auch weil Steuerpolitik zur Nahsicht verkümmert ist.

Wir werden alles tun, damit der Soli seinen wohlverdienten Platz in der Geschichte erhält.

 

Ihr BPZ-Team

 

Inhaltsverzeichnis

  • Termine September 2019
  • Termine Oktober 2019
  • Zahlungsverzug: Höhe der Verzugszinsen
  • Steuerermäßigung wegen Unterbringung eines Elternteils in einem Pflegeheim
  • Kosten der Einrichtungsgegenstände bei einer doppelten Haushaltsführung voll abziehbar
  • Erste Tätigkeitsstätte bestimmt sich auch bei längerer Auswärtstätigkeit nur nach deren voraussichtlicher Dauer
  • Schätzung beruflich veranlasster Aufwendungen einer Firmenfeier
  • Zurückschneiden über die Grundstücksgrenze ragender Äste
  • Überschusserzielungsabsicht bei Vermietung einer Gewerbeimmobilie
  • Zahnärztin darf ihre Praxisräume während der Sprechzeiten nicht per Video überwachen
  • Werbegaben durch Apotheken bei Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sind wettbewerbsrechtlich unzulässig
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