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Eine fundamentale steuerliche Gerichtsentscheidung entfaltet im Normalfall kein so großes Echo, dass sie es flächendeckend in die öffentlichen Medien schafft. Ein solches Highlight ist diesmal dem Bundesverfassungsgericht mit der am 18.08.2021 veröffentlichten Entscheidung gelungen, mit dem die 6%ige Verzinsung von Steuerschulden und Steuerforderungen für verfassungswidrig erkannt wurde. Bekanntlich werden, besser wurden Steuerschulden ebenso wie Steuerforderungen ab dem 16. Monat nach dem Ende eines Veranlagungszeitraums mit 6 % verzinst.

BPZ AKTUELL September 2021.pdf

Die Fachwelt hat diese Entscheidung keinesfalls überrascht, im Gegenteil, sie wurde als fast sicher gewertet (so auch durch uns, siehe Newsletter April 2021 und Januar 2018). Schließlich soll die Verzinsung einen Ausgleich für den Zinsvorteil schaffen, den der Steuerpflichtige für die behaltene Liquidität erwirtschaftet hat, so die Gesetzesbegründung bei Einführung der Verzinsung. Die derzeitige Niedrigzinsphase gilt seit der Finanzkrise 2009 und kann sicher nicht mehr als vorübergehend und Ausdruck von Zinsschwankungen gewertet werden. Das hat der Gesetzgeber entweder nicht wahrgenommen oder ignoriert.

In der praktischen Anwendung hinterlässt die Entscheidung gleichwohl Stirnrunzeln. Einerseits ist der Zinssatz von 6 % ab 2014 verfassungswidrig, andererseits darf er bis zum 31.12.2018 noch gültig bleiben. Dieser Zeitrahmen ist wohl der Rechtssicherheit geschuldet. Für die Zeit ab dem 01.01.2019 ist nunmehr der Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Als Hobby-Wahrsager können wir uns einen neuen Zinssatz von 3 % vorstellen.

Die Neuregelung wird in der Verantwortung der neuen Bundesregierung liegen, da eine Gesetzesinitiative der bisherigen großen Koalition unwahrscheinlich ist.

Der Fall ist ein Paradebeispiel steuerpolitischer Lethargie. Aufgrund Vorläufer-Urteile wusste das Bundesministerium der Finanzen ganz sicherlich, dass die Zinshöhe von 6 % verfassungswidrig sein würde. Bekannt war auch, dass in den Jahren 2019 und 2020 die öffentliche Hand mehr Zinsen gezahlt als eingenommen hat, weil natürlich jeder kaufmännisch orientierte Steuerpflichtige die großzügige Zinsofferte angenommen und zum Beispiel bei Einspruchsverfahren keine Aussetzung der Vollziehung beantragt hat. Also hätte diese Zinshöhe eigentlich bereits aus haushaltspolitischen Erwägungen geändert werden müssen.

Interessiert sich die Politik für die Verfassungsmäßigkeit der Steuern? Schaut man sich die Wahlprogramme einzelner Parteien an, wird einem gruselig. Bei gleich vier Parteien befindet sich die Forderung nach Erhebung der Vermögensteuer (bis zu 5 %!) wieder, deren Vollzug bereits in den neunziger Jahren wegen der Übermaßbesteuerung für verfassungswidrig erkannt wurde. Es gibt Forderungen nach einem Spitzensteuersatz von bis zu 75 %, als ob man von dem grundgesetzlich verankerten Schutz vor einer Übermaßbesteuerung noch nie etwas gehört hätte. Populismus ohne Ende: Zwei Parteien fordern, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Managergehältern auf 500.000 € zu begrenzen wohl wissend, dass damit nicht etwa die habgierigen Manager, sondern die Unternehmen getroffen werden, die (auch) für viele Tausende Arbeitsplätze sorgen.

Es lohnt sich unseres Erachtens nicht wirklich, die Wahlentscheidung davon abhängig zu machen, was einzelne Parteien aus populistischen Erwägungen heraus steuerpolitisch umsetzen wollen, da wir den Parteistrategen so viel Intelligenz zutrauen, dass sie wissen, dass dies so nicht geht. Gleichwohl werden sich Unternehmer wohler fühlen, wenn in der neuen Regierungskoalition wenigstens eine Partei mit steuerpolitischem Augenmaß vertreten sein wird, damit diese als Ausrede für die bedauerliche Nichtrealisierung steuerlicher Strangulierungen herhalten kann. Kommen nur Parteien an die Macht, die massive Steuererhöhungen fordern, kann sich als Folge eine Art „Brexitismus“-Zwang ergeben, d. h. man fühlt sich genötigt etwas umzusetzen im Wissen, dass dies falsch ist. Man kommt aber aus der Nummer eben nicht mehr heraus.

Überhaupt darf man über den Ausgang der Bundestagswahl gespannt sein. Als Kanzlerkandidat liegt Olaf Scholz vorne, der anlässlich seiner Kandidatur von der freien Presse dafür verspottet wurde, dass er ernsthaft eine Kanzlerschaft für möglich hielt. Ist der Mann so stark oder sind die anderen so schwach? Positiv gesehen ist es erfreulich festzustellen, dass die Ausstrahlung sachlicher Nüchternheit beim deutschen Wählervolk scheinbar doch Chancen gegenüber mainstream-orientierter Stimmenfängerei hat.

Es wird vermutlich bunt werden in einer neuen Koalition und sie muss nicht schrecken, denn bisher hat Regierungsverantwortung die Vernunftbegabung gefördert. Eine gesunde Basis dafür ist unser bewährtes Grundgesetz und eine unabhängige Justiz, die darüber wacht.

Unsere Wirtschaft zeigt sich robust und leidet mehr unter mangelnden Ressourcen als unter mangelnden Aufträgen. Die Summe aller unternehmerischen Herausforderungen bleibt immer irgendwie gleich.

Wir wünschen Ihnen einen schwungvollen Übergang in den Herbst.

Ihr BPZ-Team

 

Inhaltsverzeichnis

  • Termine Steuern/Sozialversicherung September/Oktober 2021
  • Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % ab 2014  verfassungswidrig
  • Spenden anlässlich der Hochwasserkatastrophe – Erleichterter Nachweis
  • Photovoltaik-Anlagen: Steuer-Vereinfachung lohnenswert?
  • Kein Abzug von Kindergartenbeiträgen in Höhe steuerfrei gezahlter Arbeitgeberzuschüsse in der Einkommensteuererklärung
  • Arbeitslohn anlässlich von Betriebsveranstaltungen
  • Keine Besteuerung des auf das häusliche Arbeitszimmer entfallenden Veräußerungsgewinns bei  Verkauf einer selbstgenutzten  Immobilie
  • Ermäßigte Besteuerung von zusätzlich gezahlter Abfindung nach Wahrnehmung einer sog.  Sprinterklausel
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